Texte

Interview vom 28.1.20, WDR 3, Jazz and World, Moderator: Thomas Mau, Gäste: Reinhard Glöder und Jürgen Hille,

Musik: Baffo (Ausschnitt), Reinhard Glöder Quartett, Barbitos (Ausschnitt), Reinhard Glöder Quartett, 

Bassport, Bassport, Walking The Blues, Reinhard Glöder Quartett

 

NGZ (16.6.20)

Faszinierendes Porträt des Neussers Jürgen Hille über den bekannten Dormagener Jazzmusiker Reinhard Glöder.

Ein Dokumentarfilm, der jetzt als Videobuch im Buchhandel erhältlich ist.

Nach der erfolgreichen Filmpremiere in der Jazzschmiede in Düsseldorf Anfang des Jahres macht die Corona-Pandemie die Präsentation im Düsseldorfer Filmmuseum unmöglich. Jetzt gibt es – ohne Ansteckungsgefahr – den Dokumentarfilm von Jürgen Hille über den Dormagener Jazzmusiker Reinhard Glöder als Video-Buch.

Als Glöder (74), eine über Jahrzehnte hinweg prägende Gestalt als Kontrabassist, Orchesterleiter, Komponist und Pädagoge in der deutschen Jazzszene, im Januar des vergangenen Jahres nach 28 Jahren Lehrtätigkeit an der Dormagener Musikschule verabschiedet wurde, spielte natürlich die Bigband auf. Seit 1991 war Glöder dort Lehrer für Kontrabass und Keyboard, seit 2003 leitete er die Bigband. Damals wurde der 1945 im Weserbergland geborene Musiker auch Dormagener und wohnte zunächst in Zons. Erst studierte er Klavier an der Musikhochschule Berlin, für den Kontrabass zog es ihn an das Robert Schumann-Konservatorium nach Düsseldorf. Zeitgleich mit seinem Engagement an der Musikschule war er Lehrbeauftragter an der Universität Duisburg und leitete bis 1999 die Uni-Big-Band. Davon zeugt eine wunderbare CD-Aufnahme mit Bill Smith und Dave Brubeck (1995).

Gut 20 Jahre vorher begann aber seine internationale Karriere als Bassist in der Fusionband „Virgo“. Auch für diese Zeit gibt es ein heute noch gültiges Dokument, die LP „Four Seasons“ (1977). Der Kontrabassist gründete und leitete seine eigene Formation, das „Reinhard-Glöder-Quartett (1975-1985), tourte zehn Jahre mit dem Krefelder Musiker und Kabarettisten Achim Konejung durch die Republik. Für ihr Programm „Das Original Alptraum Duo“ erhielten sie 1997 den Deutschen Kabarettpreis.  Auch mit dem Parodien-Jazzer Helge Schneider war er auf Tournee. Der bedankte sich, indem er Glöder in zwei seiner Filme eine Rolle gab: Im Film „00 Schneider – Im Wendekreis der Eidechse“ spielte der Musiker einen Fotografen (2013). Eine der berühmtesten Kompositionen ist „Walking the Blues“, für sein Quartett geschrieben. Und genau das ist der Titel eines Filmes, den der Neusser Bildhauer und Videokünstler Jürgen Hille über den Musiker, Komponisten und Pädagogen geschaffen hat, dessen Premiere im Januar in der Düsseldorfer Jazzschmiede gefeiert wurde. „Als ich ihn erstmals sah, weil meine Schwester, die Fotografin Ute Hille, in seiner Dormagener Bigband Saxofon spielte, war ich sicher: Der hat eine unglaubliche Aura“, erzählt der Videokünstler. Seit zwölf Jahren beschäftigt sich Hille mit Dokumentarfilmen, die zugleich Klangbilder sind. Musik spielt demgemäß eine große Rolle. Glöder-Titel werden im Film ungekürzt wiedergegeben, „obwohl ich den Musiker zu meiner Überraschung dazu überreden musste“, sagt der Regisseur.

Der Film enthält eine fast viertelstündige Session, in der Helge Schneider und Reinhard Glöder kongenial improvisieren. Viele Weggefährten des Dormageners, die zu den „European Jazz Legends“ auch zählen, kommen zu Wort. Wolfgang Engstfeld (69) etwa, der Düsseldorfer Saxofonist. Der Schlagzeuger Peter Weiss (71) ist heute künstlerischer Leiter der Düsseldorfer Jazzschmiede. Der Dortmunder Matthias Nadolny (63) gehörte am Saxofon bis 1982 zum Quartett von Reinhard Glöder und schwärmt von „erfrischend vitalen und ungemein akustischen Zeiten“. Der Neusser Jazzbassist Konstantin Winstroer (50) berichtet von der praktischen und offenen Wissensvermittlung seines ehemaligen Lehrers Glöder.

Nun hat Jürgen Hille den Film in Schwarz-Weiß gedreht:  „Ich wollte das Klangporträt aus dem farbigen Realismus herausholen“, sagt er. Tatsächlich wirken die Bilder keineswegs antiquiert, sondern vielmehr zeitlos. Wunderbare Landschaftsaufnahmen, etwa vom Rhein bei Zons, bilden mit der Musik eine faszinierende Symbiose.  Jürgen Hille ist ein überzeugendes Gesamtkunstwerk gelungen, das zugleich Hommage für einen berühmten Dormagener Musiker ist, der im November 75 Jahre wird.

JAZZPODIUM Oktoberausgabe 2019

Jürgen Hille hat „Walking the Blues“ gedreht, einen Dokumentarfilm über den Musiker, Komponisten, Arrangeur und Pädagogen Reinhard Glöder. Hille ist 1961 in Düsseldorf geboren und bildender Künstler, der von 1980-86 Bildhauerei studiert hat; seit 1993 legt er Videoarbeiten vor / von Adam Olschewski

Der porträtierte Reinhard Glöder, Jahrgang 1945, ist ausgebildeter Toningenieur, hat Klavier in Berlin und Kontrabass in Düsseldorf studiert, war als Musiker an den Schauspielhäusern in Düsseldorf und Bochum. In den Siebzigerjahren spielte er Bass im Joe Viera-Ed Kröger Quartett, in der Formation Staudamm, im Michel Pilz Trio, bei den Jazzrockern von Virgo; aber auch beim Allrounder Helge Schneider. Er stand sowohl dem Reinhard Glöder Quartett vor, das mit Jo Thönes, Matthias Nadolny, Andy Lumpp besetzt war, als auch der Gruppe Bassport, die aus vier Kontrabässen bestand, war engagiert an der Frankfurter Oper, unterrichtete Soloimprovisation und Rock, war mit dem Kabarettisten Achim Konejung unterwegs, hatte einen Lehrauftrag an der Uni Duisburg, war 28 Jahre lang an der Musikschule Dormagen tätig …

Wie kamen Sie auf die Idee, gerade über Reinhard Glöder einen Film zu machen?
Ich begann 2008 eine Reihe von Klangportraits. Da mich Arbeitssituationen und Klangereignisse interessieren, war es naheliegend Menschen aus dem „Musikbereich“ zu portraitieren. Glöder lernte ich durch meine Schwester Ute Hille kennen. Sie ist seit einigen Jahren Mitglied in der von ihm geleiteten Bigband der Musikschule Dormagen. Ich sah ihn bei einem Schulkonzert und fand ihn sehr sympathisch, wie er ruhig und humorvoll die Bigband führte. Ich wusste nicht viel über seinen musikalischen Weg, nur, das er mal mit Helge Schneider zusammengearbeitet hat. 2015 spielte er Bass mit einer Pianistin bei der Eröffnung einer gemeinsamen Ausstellung von meiner Schwester (Fotografie), einer befreundeten Malerin aus Paris und mir. Ich zeigte zwei dokumentarische Videoarbeiten, das Portrait des Pariser Instrumentenbauers Guy Collin und eine über den Parc Monceau in Paris. Glöders introvertierte Art und sein konzentriertes Spiel interessierten mich.

Was wollten Sie hervorheben?
Konzentriertheit, Spielfreude und Offenheit für unterschiedliche Musikbereiche. Seine musikalische Vielfältigkeit als Instrumentalist, Komponist, Arrangeur, Bigband-Leiter und Pädagoge.

Glöder sei ein Kindskopf, sagt Helge Schneider im Film. Inwiefern ist Glöder für diejenigen, die sich mit Improvisation beschäftigen, von Belang?
Da ich kein Jazzspezialist bin, kann ich das musikalisch nicht beurteilen. Mich hat Glöders Hingabe an die Musik und auch ihre Vermittlung tief berührt. Er führt ein glückliches, von der Musik beseeltes Leben, das außerhalb jeglichen Karrierismus, Einfluss ausgeübt hat und das auch weiterhin tut. Er ist auch deshalb ein Kindskopf, weil er spontan und offen geblieben ist.

Was reizte Sie selbst in diesem Zusammenhang noch?
Den Kontrabass finde ich speziell als Objekt interessant. Eine „Klangfigur“, die mit ihrem Volumen Ruhe und Stabilität ausstrahlt. Wenn der filigran erscheinende Reinhard Glöder am Bass agiert, entsteht ein interessantes Spiel der Proportionen.

Warum haben Sie in Schwarzweiß gedreht?
Da ich in meiner videografisch-experimentellen Arbeit fast nur in Schwarzweiß arbeite, war es auch hier für mich naheliegend, auf Farbreize zu verzichten. Der Verzicht auf den realen Farbraum schafft eine höhere Abstraktion. Die Reduktion auf Form und Struktur ist eine Befreiung vom Realismus und vom Zeitgeist.

Woher kam das Geld? Es kostet ja etwas, einen Dokumentarfilm von 103 Minuten Länge herzustellen …
Da ich als bildender Künstler an selbstausbeuterisches Arbeiten gewohnt bin und ich langwierige und papierlastige Förderanträge nicht mag, weil sie meinen kreativen Strom durch ständige Rechtfertigungen behindern, entschied ich mich, den Film ausschließlich mit eigenen finanziellen und technischen Mitteln zu produzieren. Er sollte sich frei entwickeln können. Und ich bin trotz der schweren Last froh, dass ich diese vertrauensvolle musikalische Reise mit Glöder ohne finanzierten Ergebnis- oder Erfolgsdruck erleben durfte.

Sie sind auf der Suche nach einem Vertrieb. Wo sind die Schwierigkeiten, einen zu finden?
Grundsätzlich ist wahrscheinlich meine Ungeduld problematisch und die Tatsache, dass es kaum Vertriebe gibt, die sich für diese Art von Filmen interessieren.

Wie geht es mit der Klangportrait-Reihe weiter?
Ich möchte die Reihe fortsetzen, aber es gibt noch kein konkretes Projekt. Das lasse ich auf mich zukommen. In der Reihe zeigte ich 2008 den Klavierstimmer und Konzerttechniker Ludger de Graaff bei seiner Arbeit. Hier interessierte mich wiederrum die Vereinzelung. Der einsame Klangarbeiter, der auf der Bühne den Flügel für die ausschweifenden Klangreisen der Pianisten vorbereitet und in seiner Arbeit eigene Klangräume entstehen lässt. Auch gibt es von mir eigene kurze Videoklang-Stücke, die auf YouTube zu sehen sind.

Zuletzt: Wie sehen Sie als bildender Künstler Musiker, auch Jazzmusiker?
Ich beneide grundsätzlich die Musiker, weil sie als Zeit- und Klanggestalter den Moment mit ihrem Publikum feiern. Das Hier und Jetzt als geteilte Realität. Die Direktheit der musikalischen Aktion bewirkt sofortige Reaktion. Musik als situationsbildendes Wagnis. Das Heraufbeschwören eines kollektiven Glückserlebnisses im Klang ist für mich wunderbar. Das videografische Beobachten eines offenen musikalischen Prozesses ist ein Genuss. Das Improvisieren ist in meiner freien Arbeit auch von grundsätzlicher Bedeutung. Da ich aber gestaltender Solist ohne Gruppenbindung bin, beneide ich bei den Musikern zusätzlich das Kollektiv. Eine familiäre Konstellation, die auf Vertrauen und Respekt, die Wege der Einzelnen unterstützend begleitet.

amschatzhaus,  2017

rear retina – Video und Fotografie
Der 1961 in Düsseldorf geborene Künstler Jürgen Hille, nun schon seit geraumen Jahren in Neuss ansässig, ist ein Medienkünstler durch und durch. So könnte man jedenfalls denken, wenn man seine suggestiven Fotos und Videos auf sich wirken lässt. Erstaunlich aber ist, dass er eigentlich gelernter Bildhauer ist und das setzt seine Arbeiten sogleich in ein anderes Licht.
Hatte er in seiner künstlerischen Anfangszeit, immerhin noch bis 1993, mit Materialien wie Gips, Wachs, Karton und Holz gearbeitet, brachte ihn die filmische Dokumentation seiner Plastiken und Rauminstallationen zur Videokunst. Das kann man sich wie eine Erweckung vorstellen, gab er doch die Bildhauerei (vordergründig) vollständig auf. Richtiger ist es wohl zu sagen, dass sich seine skulpturale Arbeit in den medialen Raum fortentwickelt hat. Denn seine Videos wirken durchaus wie Rauminstallationen. Das liegt schon an ihrer spezifischen Präsentation, aber auch und noch vielmehr an ihren Sujets. Denn Hilles videografisches Sehen widmet sich schwerpunktmäßig Ortserkundungen: von Landschaften, industriellen Räumen oder menschlichen Arbeitszusammenhängen. Sie schreiben sich ein in diese Räume und inszenieren einen eigenen ästhetischen Blick, der sich oft auf Detailaspekte im Makrobereich richtet und so neue Sichtweisen auf scheinbar altbekannte Gegenstände ermöglicht.
Besonders die Erkundung des Erftareals hat es ihm angetan, seit Jahren beschäftigt er sich mit spezifischen Ansichten aus dem Terrain zwischen Wiesenwehr und Grimlinghauser Erftmündung.
In der Galerie amschatzhaus zeigt er neue Beispiele seiner Kunst, neben drei Videoarbeiten „vivid“, „Infusion“ und „rear retina II“ sind großformatige Fotografien aus der Reihe der „Atmosphären“ zu sehen, Stromschnellen, Steine im Wasser, sowie vier mehrteilige Ensembles mit kleinformatigen Fotoarbeiten. Ebenfalls vorgestellt wird sein Blog als „digitale Bilder- und Videospur seiner Realitätsforschung“ und sechs Projektbücher, die Jürgen Hille als intime Bild- und Raumprojekte versteht. „Die dazu entstandenen Videos werden der zeitlichen Festschreibung enthoben und zur individuell bestimmten, sequentiellen Betrachtung freigestellt“, beschreibt der Künstler diesen Prozess.

Das ist Heimatkunst einmal ganz anders, auf den ersten Blick hat sie damit nicht viel im Sinn, doch Hilles Foto- und Videoarbeiten sind nicht zuletzt ein Plädoyer dafür, den eigenen alltäglichen Umraum einmal viel intensiver wahrzunehmen, genauer hinzuschauen und ihm neue ästhetische Perspektiven abzugewinnen. Das kann zu einer Vergegenwärtigung führen, dazu, sich in den Dingen zu verlieren, um sich selbst gerade dadurch neu zu gewinnen: nämlich indem man ausbricht aus der von außen aufgezwungenen Zeitschleife des Alltags.
Dieser fast meditative Blick prägt Hilles Arbeiten, die so zum Exempel werden – genauso wie die Betrachter sich in den genialen, strömenden, flirrenden Naturloops Hilles versenken können, mögen sie es beim nächsten Spaziergang selbst tun und so ein Reich innerer Freiheit zurückgewinnen, innere Landnahme betreiben. Es ist seltsamer und doch produktiver Widerspruch, dass Hille diese intensive Form der Landschaftsbetrachtung und -vermittlung ausgerechnet durch ein eigentlich artifizielles Medium erreicht. Aber wer fragt danach, wenn es beeindruckt.

Die Musik des Bildes

Von Marion Stuckstätte

Bilder rauschen an einem vorbei, Wasser, Insekten, Blüten, Steine und Blätter. Bilder gleiten über die Leinwand, die Seitenwände, umziehen den Raum. Nehmen ihn ein. Natur. Naturschauspiel. Realitätsforschung. Und Klang. Der Klang der Natur. Was die Fotos und Videos von Jürgen Hille zeigen, findet sich in der Welt und in der Erft-Landschaft von Neuss. Und doch hat man es so noch nie gesehen. Der Medienkünstler eröffnet eine faszinierende Sicht auf die Elemente der Erde, auf das Zusammenspiel der Details und auf Alltägliches.
Man könnte es selber sehen: den Stein, der sich mit einer Wasserschicht umhüllt, als sei er in Glas gefasst oder den entwurzelten Baumstamm, den die Natur zerklüftete, dessen spitzte Holzabspreizungen sich wie Sägezähne gen Himmel strecken.
Genauso wie den Lichtkegel auf gewölbter Wasseroberfläche, der sich darstellt, als würde eine Lampe vom Grund nach oben leuchten. Es ist Realität. So war es vor Ort, so hat der Künstler es gefunden. Aber das, was er erfasst, ist keine Ablichtung von Naturwundern. Es ist der besondere Moment, der besondere Blick, der außergewöhnliche Ausschnitt, durch den er das Bild zur Kunst erhebt. Nichts ist einfach da, alles ist Komposition, wenngleich ohne Eingriff.

Jürgen Hilles Bilder sind voller Ruhe und Poesie, selbst wenn sie die Kraft der Natur im reißenden Erftstrom erfassen. Sein Auge weist dem Betrachter einen eigentümlichen Weg, die Einzigartigkeit seiner Fundstücke und deren Anordnungen zu erkennen. Doch bleibt die Betrachtung nicht am Detail, nicht am Kieselstein aus Grimlinghausen, nicht an der Wasserblase der Erft hängen. Vielmehr zieht sich der Blick vom Einzelnen auf zur Größe der Welt. Ein kleines Stück als Teil des Ganzen. Die Realität, die in abstrakte Sphären verweist.

Vor 6 Jahren zog der gebürtige Düsseldorfer (Jahrgang 1961) nach Neuss. Nach seinem Studium der freien Bildhauerei an der Kunstakademie Düsseldorf arbeitete er anfangs mit Materialien wie Gips, Wachs, Karton und Holz, entwickelte Plastiken und Rauminstallationen. Eine Videodokumentation seiner Ausstellung Kunsthaus Essen (1993) intensivierte sein Interesse am Medium Film. Bildhauerisches Gestalten schien ihm begrenzter als videografisches Sehen und Raumgestalten. Ortserkundungen an Landschaft, Zeche,Menschen und Leben wurden zum experimentellen Inhalt.
Es entstanden subjektive Dokumentationen wie 1995, über das israelische Künstlerdorf „Ein Hod“ oder 1997/98 über einen Schlüsseldienstbetreiber.

Videografische Interpretationen an der Halde Haniel folgten, u.a. die komplexe Bild-Tonmontage „ HALDE“, die die gewaltigen energetischen Prozesse des Untertagebaus den Freizeitaktivitäten auf der Halde gegenüberstellt. 2005 unterhielt Hille im Düsseldorfer Goethe-Institut ein offenes Atelier, in dem er ortsspezifische Beobachtungen künstlerisch reflektierte und in variierenden Wandinstallationen zur Diskussion stellte. Später kamen Videoportraits von Menschen, die mit und für die Musik leben.
Aus seinem Interesse an Klängen und musikalischen Strukturen entwickelte sich eine Arbeit mit Kieselsteinen, die auch Bestandteil einer experimentellen Sendung bei arte tv war und die er in verschiedenen Ausstellungen mit Monitoren und realen Steinen im Raum installierte (http://kiesl.blogspot.de)

Neue Wirklichkeit aus dokumentarischen Ansätzen
Mit dem Umzug nach Neuss ging die Erkundung hiesiger Landschaft einher. Seither ist er ständiger Gast des Erft-Areals zwischen dem Wiesenwehr in Gnadental und der Rheinmündung in Grimlinghausen. Die Bilder und Videos des noch in der Entwicklung befindlichen Erft-Projekts sammelt er in seinem Internetblog http://juergenhille.blogspot.de, das als virtuelles Archiv seiner Wahrnehmung stetig wächst. Zurzeit befinden sich 6776 Bild- und Videoarbeiten in diesem Kanal, der an manchen Tagen von bis zu 500 Usern kontaktiert wird. Aus dieser Arbeit konnten, dank der Jubiläumsstiftung der Sparkasse Neuss, im Dezember 2012 erstmals 10 großformatige Fotografien im Romaneum zur Ausstellung gebracht werden.

Am 6.April nun zeigt Hille im Pauline Sels-Saal des gleichen Hauses eine erste Video-Installation zum Erft-Projekt. Seine Kunst ist, die Dinge neu zu beleben. Aus dokumentarischen Ansätzen baut sich neue Wirklichkeit. Es ist wie ein Spiel mit Wahrnehmung, Bildern und Betrachtungsperspektiven. Mögen die Standbilder gar in ihrer
Ruhe und Tiefe wie Meditationspole wirken, so gegensätzlich quirlig, dynamisch, auch hektisch fügen sich gleiche Naturausüge in einzelnen Videosequenzen zusammen. Rasante Schnitte, harte Brüche und der Bewegung gegenläufige Kameraführungen koppeln sich an Stillstand und unberührte Natur. Eigenwillige Lebendigkeit entsteht. Eine, die über der der Naturereignisse liegt. Unbedingt anschauen!

Interview with Jürgen Hille

screenfestival Oslo 2010
tumblr_mbesegfj1P1ry1s08

Tell me something about  you and artistic background.
I was born 1961 in Düsseldorf and grew up in this city located by the wonderful river „Rhein“, a very important influence for my life. In the age of 16 I began to make small super-8 films with my father’s camera. I also started to draw and make experiments with different materials like plaster or sounds on tape. My art teacher, the Photographer Volker Jenny (he died early in the age of 47) supported my work and my decision to study art at the academy of art in Düsseldorf. My professor was the German sculptor Karl Bobek . After a long way of making sculptures, I made a video documentation about my exihbition in the Arthaus Essen,1993. This was a new beginning found space..

Tell me about this film, initial idea and work process.
I developed „Raumsonde“ (http://lunarprobe.blogspot.com) for a short film competition. It was part of the Beethoven Festival in Bonn 2009. One of the given keywords was „Moon“. I tried to connect my formerly short and autonomous video-sound-pieces and created a dramatically structure without narration. The creative athmosphere during full moon is the topic of this 6 minutes. The small parts of making a drawing are new elements, the gesture of an intensive process – to make a video is to draw with moving lights and sounds. The jury of the Beethoven Festival refused my work. Now I am lucky that you want to show my „Raumsonde“ in Oslo.

Are you working on new projects at the moment?
I work every time on new projects. A short time ago I finished a 5 minute video with the title „AWIE“ (http://awieatem.blogspot.com). It is an continuation of „Raumsonde“. Now I prepare a new video for my sound-portrait-series. It becomes poetical documentation  about 3 violinmakers in Germany.

Do you have specific influences in your film/video making?
Important filmmakers for me are: Brakhage, Kubelka, Tati and Lynch.

Why is it important for you to show your film/video in a festival?
I want to infect the audience with my sense.

What role do you think Oslo Screen Festival should have to promote your work?
I hope the technical circumstances are optimal for the performance. This is the basis. I have no other expectations.

 

Die Kunst des reinen Sehens

Kieler Nachrichten    8.4.2008

Kiel-Aus dem PrimaKunst-Container dringt ein seltsames Klickediklack: mal melodisch rhythmisiert in einer Art Loop, mal sanft ausklingend oder abrupt  gebremst in einem gluckernden Gulp.  Eine Videoinstallation im Innern des Containers gibt Aufschluss:

Wie von Geisterhand angestoßen, sieht man auf einem Monitor kleine Steine hüpfen- von einem gefluteten Kiesbett, das die Wasserstände blitzartig wechselt und gern auch mal auf dem Kopf steht, über Treppen und Straßen in einen Innenraum mit Steinfliesen.

14 kurze Filmsequenzen hat der Neusser Jürgen Hille kunstvoll aneinander geschnitten. Musikalisch munter verfolgen sie den Weg „von Kieselsteinen aus dem Rhein in meine Wohnung.“

Hille ist gelernter Bildhauer, doch kurioser Weise haben ihn Steine als Gestaltungsmaterial nie interessiert. „Dazu habe ich viel zu viel Erfurcht vor dem Gewordenen, dem  Charakter des Steines.“ Über das filmische Dokumentieren eigener Ausstellungen hat er das Video als Medium für sich entdeckt „wie eine Befreiung vom Materialisierungswahnsinn.“

In seiner Kieler Arbeit geht es nicht um von ihm geformtes Material, sondern um die Reduzierung auf die „videografisch-auditive Formulierung des reinen Sehens.“ Neben den bewegten Bildern in Schwarzweiß kommt es dem 47-jährigen, der in Düsseldorf Freie Kunst studiert hat und mit mehreren Arbeitsstipendien, unter anderem 1994 im Künstlerhaus Selk, ausgezeichnet wurde, vor allem auf die Klangebene der Installation an. „Ich habe grundsätzlich ein musikalisches Interesse an den Klängen des Alltags“, so Hille. Durch die Verbindung von Bild und Ton und die rhythmische Wiederholung einzelner Sequenzen, die auf die Bewegung der Steine fokussiert ist, fördert er diese Musikalität zu Tage. Den Betrachter lädt er ein, in die Installation einzutauchen und selbst etwas zum Klangbild beizutragen: Beim Betreten des mit groben, sandigen Kieselsteinen gefüllten Containers erzeugt der Besucher durch seine eigenen Schritte ein knirschendes Geräusch, das mit den Video-Klangstücken auf magische Weise korrespondiert.